KI und Mode - passt das?

Part I – Grundsatz: Segen, Fluch oder Werkzeug?

 

C. Gerlich: Sven, wir kennen uns ewig, und ich habe gesehen, wie du Nächte durchgearbeitet hast, nur um einen Schnitt zu perfektionieren. Heute reden alle über KI, als wäre sie das Ende der Kreativität. Ist sie für dich Gefahr oder Befreiung?

 

Sven Appelt: Gefahr? Nein. KI ist kein Monster, das dir die Schere aus der Hand nimmt. Sie ist ein Spiegel. Sie zeigt dir brutal ehrlich, ob du wirklich was kannst oder ob du dich nur noch selbst wiederholst. Wer stagniert, der hat Angst. Aber wer eine Handschrift hat, der sieht in KI einen Verstärker.

 

C. Gerlich: Also kein Fluch, kein Segen – nur ein Spiegel?

 

Sven Appelt: Genau. Sie entlarvt. Sie ist Inspiration, weil sie dir Varianten zeigt, an die du in der Geschwindigkeit nicht denkst. Und sie ist Turbo, weil sie Prozesse abkürzt. Früher habe ich zehn Skizzen gemacht, fünf verworfen, eine behalten. Heute generiere ich zehn Varianten in zehn Minuten. Aber das Grundkonzept, die Idee, die Haltung – das kommt von mir. Ohne mich ist die KI blind.

 

C. Gerlich: Manche sagen aber: „Irgendwann ersetzt sie EUCH alle.“

 

Sven Appelt: Dann haben die Leute keine Ahnung von Mode. KI kennt keine Wut, keinen Mut, keine Liebe, keine Obsession. Alles, was Mode ausmacht, entsteht aus diesen Gefühlen. KI ist ein Rechenapparat. Nichts weiter.

 

C. Gerlich: Also würdest du sagen: KI ist ein Test – für alle, die Substanz haben oder eben nicht?

 

Sven Appelt: Exakt. KI killt keine Kreativität, sie killt Belanglosigkeit.

 

 

Part II – Authentizität & Fotografie

 

C. Gerlich: Aber Sven, Latex lebt doch von Licht, vom Atem des Raumes, vom Moment. Kann eine KI das jemals erzeugen?

 

Sven Appelt: Nein. KI kann Glanz malen, aber nicht den Schweiß im Studio. Sie kann Oberflächen berechnen, aber nicht diese Nervosität, wenn ein Model zum ersten Mal ein Latex-Tank-Top trägt. Sie kennt keine Aura. Ein analoges Foto von Andreas Fuchs ist Weltkulturerbe – und genau deshalb unersetzbar.

 

C. Gerlich: Trotzdem nutzt du KI in deinem Prozess. Wo genau?

 

Sven Appelt: Nach dem Shooting. Ich fotografiere meine Looks, und dann lasse ich die KI Varianten bauen: Club-Version, Business-Version, Fetisch-Version. Der Kunde sieht sofort, wie flexibel ein Piece ist. So kann ein Tank-Top unter einem Gucci-Anzug genauso funktionieren wie auf der Tanzfläche im Berghain.

 

C. Gerlich: Hast du schon erlebt, dass dir ein KI-Bild etwas gezeigt hat, das dir im Studio entgangen wäre?

 

Sven Appelt: Ja. Einmal hat ein KI-Rendering den Faltenwurf so verändert, dass ich dachte: „Moment, das probiere ich real aus.“ KI kann dir Spiegelungen geben, die dich auf eine neue Idee bringen. Aber wichtig: Das ist nie das Original, immer nur ein Echo.

 

C. Gerlich: Aber macht diese Glättung nicht auch die Seele kaputt? KI nimmt Makel, Haut, Schatten…

 

Sven Appelt: Genau. Deshalb sage ich: KI ergänzt, ersetzt aber nie. Ein Model bringt Aura, Präsenz, eine Geschichte mit. Das kannst du nicht rendern.

 

C. Gerlich: Also KI als Photoshop 2.0?

 

Sven Appelt: Ja – nur schneller und raffinierter. Aber genauso abhängig vom Ausgangsmaterial.

 

 

Part III – Macht & Kontrolle

 

C. Gerlich: Wem gehört ein KI-generiertes Bild am Ende? Dir, dem Fotografen – oder der Maschine?

 

Sven Appelt: Mir. Immer. KI ist ein Pinsel. Und der Pinsel verlangt auch nicht nach Copyright.

 

C. Gerlich: Aber ist das nicht genau die Angst: Dass Kreativität an Tech-Plattformen verloren geht?

 

Sven Appelt: Klar, das ist die Gefahr. Aber genau deshalb musst du Haltung haben. Wer seine Ästhetik kontrolliert, verliert sie nicht an Algorithmen.

 

C. Gerlich: Manche glauben ja, dass KI selbst Trends setzen kann. Glaubst du das?

 

Sven Appelt: Niemals. KI spiegelt Muster. Trends setzen die, die gegen den Strom schwimmen. Avantgarde entsteht nicht aus Daten, sondern aus Widerspruch.

 

C. Gerlich: Also kein Ersatz für Mut?

 

Sven Appelt: Genau. Mut bleibt menschlich.

 

C. Gerlich: Und ist KI am Ende eher Demokratisierung oder neue Abhängigkeit?

 

Sven Appelt: Beides. Jeder hat Zugang – das ist Demokratisierung. Aber am Ende setzen sich nur die durch, die Haltung haben. Das ist Selektion.

 

 

Part IV – Ökonomie & Arbeitswelt

 

C. Gerlich: Sven, Latex-Couture ist aufwendig. Spart dir KI Kosten oder verursacht sie neue?

 

Sven Appelt: Sie spart Zeit aber kein Material, früher habe ich einen Prototypen gebaut und Heute auch, zusätzlich visualisiere ich zehn Looks digital und klebe dann einen, der mich vom Schnitte herausfordert. Das ist smart, nachhaltig, ökonomisch klug.

 

C. Gerlich: Aber ist das nicht auch ein Jobkiller?

 

Sven Appelt: Nein. KI killt keine Jobs. Sie killt Belanglosigkeit. Hobbyfotografen, die knipsen. Designer, die seit 20 Jahren denselben Schnitt nähen. Weg. Und weißt du was? Gut so.

 

C. Gerlich: Hilft dir KI auch beim neuen Markt – Tank-Tops für Clubs und Business statt nur für Fetischisten?

 

Sven Appelt: Ja. Früher musste ich erklären: „Schaut, das funktioniert auch im Alltag.“ Heute zeige ich es mit einem Klick. Ein Clubgänger sieht, wie das Piece auf der Tanzfläche wirkt. Ein Banker sieht, wie es unter dem Armani-Jacket sitzt, zum beispiel.

 

C. Gerlich: Und im Film?

 

Sven Appelt: Riesig. Produzenten wollen Sicherheit. KI zeigt vorab: So glänzt das Latex im Spotlight, so bewegt es sich in Szene A. Das spart Diskussionen und Geld.

 

C. Gerlich: Aber führt diese Effizienz nicht auch zu Überproduktion?

 

Sven Appelt: Ja, wenn man SHEIN heisst oder es falsch nutzt. Aber wenn du Haltung hast, verhinderst du genau das. KI ist ein Messer – du kannst damit kochen oder verletzen.

 

 

Part V – Ästhetik, Kultur & Zukunft

 

C. Gerlich: Latex war lange Subkultur. Heute läuft es über den roten Teppich. Beschleunigt KI diesen Wandel?

 

Sven Appelt: Absolut. KI ist der Turbo, der sichtbar macht: Latex ist nicht nur Fetisch, sondern High Fashion.

 

C. Gerlich: Aber reduziert sie Latex nicht auch auf Instagram-Pose statt Haltung?

 

Sven Appelt: Gefahr ja, aber nur für die, die nichts zu sagen haben. Wer nur Content will, wird ersetzt. Wer Haltung hat, gewinnt.

 

C. Gerlich: Dein Ex-Partner Alexander Nemitz von RubAddiction gilt vielen als Beispiel für Wiederholung. Hat er Grund, Angst zu haben?

 

Sven Appelt: Natürlich. Wenn du keine eigene Handschrift hast, wenn du immer dasselbe wiederholst was Sven Appelt vor fast 20 Jahren kreiert hat, dann kopiert dich die KI schneller, als du es selbst je könntest und dann bekommst du Angst, denn Talent bringt noch immer das Brot auf den Teller.

 

C. Gerlich: Also ist KI die ultimative Entlarvung?

 

Sven Appelt: Exakt. KI zeigt sofort, wer Vision hat und wer nicht.

 

C. Gerlich: Du reist bald nach Kalifornien, um über KI & Custom-Design für Film und Fernsehen zu sprechen. Was wirst du dort sagen?

 

Sven Appelt:

Ganz so ist es nicht: Eingeladen bin ich, um über Latex im Film zu sprechen – wie Material, Licht und Bewegung zusammenwirken und was man verbessern kann. Dass das Thema KI jetzt so präsent ist, liegt vor allem daran, dass es 2025 an allen Universitäten auf die Agenda gesetzt wurde. Die Studierenden erwarten es regelrecht, also fließt es mit ein.

 

Mein Ansatz ist ein „KI rückwärts“-Workshop: Wir starten oldschool – mit Zeichnungen, Schnitten, realem Stoff. Wir fertigen ein Teil analog, erleben es in Bewegung und im Licht. Und erst danach lassen wir die KI ein Bild davon erstellen. So lernen die Studierenden, dass nicht die KI die Ideen liefert, sondern dass sie aus dem realen Prozess heraus gespeist wird.

 

Meine Botschaft ist klar: KI ist mein Assistent, nicht mein Ersatz..

 

 

Interview geführt von Cosmo Gerlich

Berlin

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