KI & Mode: Wenn Algorithmen den Stil diktieren – Ein Gespräch mit Sven Appelt über die Zukunft der Branche
Interviewer: Sven, du bewegst dich seit Jahren an der Schnittstelle zwischen High Fashion und innovativer Technologie. Aktuell ist das Thema Künstliche Intelligenz in aller Munde – von Design-Generatoren bis hin zu automatisierten Produktionsprozessen. Ist KI die Zukunft der Mode, oder überschätzen wir ihre Rolle?
Sven Appelt: KI ist zweifellos ein Werkzeug, das die Modebranche in vielen Bereichen effizienter machen kann – sei es bei der Prognose von Trends, der Entwicklung neuer Schnitte oder sogar in der Produktion. Aber die Vorstellung, dass KI eines Tages vollständig übernimmt, ist nicht nur übertrieben, sondern gefährlich.
Mode ist nicht einfach ein mathematisches System, das man mit Daten füttert und dann perfekte Designs ausgespuckt bekommt. Sie lebt von Emotion, Kultur, Identität. KI kann ein Outfit berechnen, aber sie kann nicht verstehen, warum ein rebellischer Look in einer bestimmten Zeit plötzlich gesellschaftlich aufgeladen ist.
Interviewer: Heißt das, du siehst KI eher als Ergänzung, nicht als Ersatz für Designer?
Sven Appelt: Absolut. Ich finde es faszinierend, wenn Designer mit KI experimentieren, um neue Strukturen oder Materialkombinationen zu entwickeln. Aber das sollte eine Erweiterung kreativer Prozesse sein – kein Ersatz.
Was mir Sorgen macht, ist, dass KI in Deutschland oft als Notlösung gesehen wird. Uns fehlen die Fachkräfte, also automatisieren wir lieber, anstatt kreative Berufe zu fördern. Das Problem ist nicht die KI selbst – sondern die Tatsache, dass unsere Industrie immer weniger Menschen ausbildet, die mit ihr arbeiten können.
Interviewer: Du hast den Fachkräftemangel bereits angesprochen. Welche Berufe sind in der Modeindustrie besonders betroffen?
Sven Appelt: Die Liste ist lang. Schnittmacher sind fast ausgestorben. Wer heute einen maßgeschneiderten Schnitt haben möchte, muss entweder ins Ausland gehen oder mit jemandem arbeiten, der das Wissen noch aus einer Zeit hat, in der dieser Beruf anerkannt war. Auch Materialexperten, Spezialisten für Textilveredelung oder handwerklich ausgebildete Modisten sind kaum noch zu finden.
Die meisten Modeunternehmen in Deutschland setzen auf standardisierte Produktion, weil sie keine Leute mehr haben, die individuelle Handwerkskunst umsetzen können. Das ist ein Problem.
Interviewer: Und trotzdem hat Deutschland eine lange Tradition in hochwertiger Modeproduktion. Warum gibt es so wenig Nachwuchs?
Sven Appelt: Weil Mode als ernstzunehmende Branche in Deutschland einfach nicht gefördert wird. Frankreich, Italien, selbst Großbritannien investieren in Modebildung, in Stipendien für junge Designer, in Innovationslabore. Hier? Fehlanzeige.
Dazu kommt, dass Handwerksberufe in Deutschland ein Imageproblem haben. Während in Paris oder Mailand ein Couture-Handwerker eine angesehene Position hat, wird hier oft so getan, als wäre das ein aussterbender Job, der irgendwann von Maschinen ersetzt wird.
Interviewer: Glaubst du, dass KI in der Lage ist, echte Kreativität zu erzeugen, oder wird Mode durch den zunehmenden Einsatz von Technologie gleichförmiger?
Sven Appelt: Das hängt davon ab, wie wir sie nutzen. Wenn eine KI nur bestehende Designs kombiniert und daraus Variationen ableitet, dann bekommen wir am Ende eine Welt, in der alles irgendwie bekannt aussieht.
Mode lebt aber von Bruch, von Unerwartetem. Die großen Trends der letzten Jahrzehnte – ob Grunge, Punk oder Streetwear – sind nicht durch Marktanalysen entstanden, sondern durch kulturelle Bewegungen. Eine KI kann Statistiken lesen, aber sie kann nicht verstehen, warum Menschen plötzlich Lust haben, einen übergroßen Blazer mit Sportsocken zu kombinieren.
Interviewer: Welche Risiken siehst du, wenn Modehäuser immer stärker auf KI setzen?
Sven Appelt: Das größte Risiko ist, dass wir den kreativen Instinkt verlieren. Wenn Unternehmen sich immer mehr auf Algorithmen verlassen, um Designs zu optimieren, dann stirbt das Experimentieren. Designer könnten irgendwann nur noch das umsetzen, was laut Daten „gut performt“.
Außerdem gibt es eine wirtschaftliche Gefahr: Wenn du als Marke den kreativen Prozess auslagerst, verlierst du langfristig deine Identität. Dann entscheidet eine Software, welche Silhouetten für deine nächste Kollektion „funktionieren“ – und plötzlich sieht deine Marke aus wie jede andere.
Interviewer: Warum gibt es in Deutschland so wenig Unternehmen, die Mode und Technologie mutig kombinieren?
Sven Appelt: Weil Mode hier nicht als ernstzunehmende Industrie betrachtet wird. Wir haben eine starke Automobilbranche, eine starke Ingenieurskultur – aber Mode? Da gibt es wenig staatliche Förderung, wenig Investitionen in Forschung und Entwicklung.
In den USA oder China pumpen Unternehmen Milliarden in Mode-Tech, von Augmented Reality für Anproben bis hin zu robotergestützter Produktion. In Deutschland diskutieren wir noch darüber, ob ein Online-Shop überhaupt notwendig ist.
Interviewer: Siehst du KI als eine Chance oder als Bedrohung für die Modebranche?
Sven Appelt: Weder noch. KI ist ein Werkzeug. Es liegt an uns, ob wir es sinnvoll nutzen oder ob wir uns von ihm abhängig machen.
Ich finde es spannend, wenn KI für nachhaltige Produktion genutzt wird, um Stoffreste zu minimieren oder um Prozesse effizienter zu gestalten. Aber wenn KI dazu führt, dass Mode standardisiert wird und Menschen aus kreativen Berufen verdrängt, dann haben wir ein Problem.
Interviewer: Was müsste sich ändern, damit Mode und Technologie besser zusammenfinden?
Sven Appelt: Drei Dinge:
1. Bildung reformieren – Wir brauchen moderne Mode-Ausbildungen, die Kreativität und Technologie verbinden.
2. Förderung von Innovation – Unternehmen brauchen finanzielle Unterstützung, um in Mode-Tech zu investieren.
3. Mut zur Veränderung – Wer sich nur auf bewährte Prozesse verlässt, wird von der globalen Modeindustrie abgehängt.
Interviewer: Zum Abschluss: Wenn du eine Maßnahme sofort umsetzen könntest, welche wäre das?
Sven Appelt: Bildung. Modeausbildungen müssen dringend überarbeitet werden, kreative Berufe müssen wieder attraktiv gemacht werden. Denn die privaten Hochschulen werden immer attraktiver.
Wir müssen jungen Talenten zeigen, dass Mode ein Zukunftsfeld ist – mit oder ohne KI. Wenn wir das nicht tun, dann übernehmen nicht die Maschinen die Modewelt – sondern einfach andere Länder, die verstanden haben, wie wichtig Kreativität ist.
Interviewer: Sven, Danke für das Gespräch!