Kolumne: „Latex, Leder und die Frage nach der Freiheit“
Es war ein warmer Augustabend in Berlin, und der Nollendorfkiez glänzte nicht nur von Latex und Leder, sondern auch von etwas, das man in dieser Stadt so selten spürt: ungefilterte Freiheit. Folsom 2025 steht vor der Tür, die Fetisch-Straßenmesse, die mehr ist als nur ein Spielplatz für Latex- und Leder-Fetischisten. Es ist ein Schaufenster in eine Welt, die immer wieder missverstanden wird – und gleichzeitig eine politische Bühne, ob sie es will oder nicht.
Ich fragte mich: Kann man wirklich unpolitisch sein, wenn allein die Existenz deiner Lust schon als Provokation gilt?
Die Veranstalter bestehen darauf: Folsom ist „kein Sex auf der Straße“, es ist ein soziales Event. Aber was bleibt von einem sozialen Event, wenn die AfD gleichzeitig im Hintergrund die Gelder kritisiert, die der Bezirk an die Community verteilt? Freiheit hat eben immer einen Preis – und manchmal ist dieser Preis, dass du dein Leben vor Politikern rechtfertigen musst, die deine Existenz am liebsten wegradieren würden.
Denn Folsom ist nicht nur ein Straßenfest. Es ist ein politisches Statement. Jedes Harness, jedes Paar hochglänzender Boots, jedes Stück Latex ist ein Widerspruch gegen eine Welt, die uns am liebsten in die Schublade des „Normalen“ zwängen würde. Und während andere Straßenfeste in Berlin ihre politische Daseinsberechtigung offen zur Schau tragen, passiert es hier beinahe nebenbei: Sichtbarkeit wird zur Gegenwehr. Widerstand wird zu einem Catwalk unter freiem Himmel. Und vielleicht ist das die eigentliche Kraft von Folsom: nicht die Lautstärke der Parolen, sondern die stille, glänzende Präsenz von Körpern, die nicht weichen.
Doch Folsom ist auch Charity. 70.000 Euro gingen im letzten Jahr an Projekte, die sonst in der Versenkung verschwinden würden. Maneo, Quälgeist, eine queere Schule. Ich musste daran denken: Vielleicht ist das die eigentliche Provokation: dass wir nicht nur offener zu unserer Sexualität und unserem Fetisch stehen, sondern auch sehr gerne geben.
Und genau hier beginnt der Fashion-Part dieser Geschichte. Denn Mode war auf Folsom nie nur Beiwerk, sondern die Rüstung einer Community. Latex als zweite Haut, Leder als Uniform der Selbstermächtigung. In den letzten Jahren hat sich die Ästhetik verschoben: weg vom reinen Schwarz, hin zu Braun, zu Farbe, zu einer neuen Diversität der Materialien. Plötzlich wirkt Latex nicht mehr nur wie ein Fetischmaterial, sondern wie Haute Couture, die im Straßenlicht funkelt.
Ich sah die Kampagnenästhetik und fragte mich: Wann wurde das Anziehen von Gummi zu einem politischen Statement – und wann blieb es einfach nur ein verdammt heißes Outfit? Vielleicht ist es gerade diese Doppelbödigkeit, die Berlin so perfekt beherrscht: Im selben Atemzug Widerstand leisten – und dabei besser aussehen als jede Frontrow in Paris.
Berlin hat eine Antwort: es ist beides. Folsom ist Lust und Last. Es ist der Ort, an dem man seinen Körper in glänzende zweite Haut hüllt und gleichzeitig die Gesellschaft spiegelt. Eine Gesellschaft, die uns seit Jahrzehnten sagt, wir seien „zu viel“ – und die wir jedes Jahr mit einem Lächeln und einem Harness widerlegen.
Vielleicht geht es also gar nicht darum, ob Folsom politisch ist. Vielleicht geht es darum, dass unsere Körper, unsere Outfits, unsere Präsenz schon die Antwort geben: Wir sind hier. Wir sind laut. Wir sind sexy. Und ja – wir sind politisch.